Aschaffenburg / Politischer Diskurs
Aschaffenburg ... zwei Menschen sterben und schon innerhalb der ersten Stunde fluten Posts und Kommentare voller Hass das Netz. Kurz darauf schlagen die ersten Politiker Kapital aus der Tat.
Auch jeder Mensch, der Migration kritisch gegenüber steht, sollte den Anstand und den Respekt vor den Opfern und vor deren Angehörigen haben, die Tat nicht bereits am ersten Tag für eigene Ziele auszunutzen.
Auch und gerade konservative Menschen legten einst Wert auf die Bewahrung zivilisatorischer, humanistischer Errungenschaften, auf Höflichkeit und eben auf Anstand und Respekt.
Dass viele Menschen samt ihrer Trolle und Bots daran keinerlei Interesse mehr haben, zeigt, dass diese Menschen eben nicht nur konservativ, sondern hasserfüllt, rechtsextrem und rücksichtslos sind.
Als Vater von zwei Kindern bin ich natürlich traurig und bestürzt über die Tat und fühle mit den Angehörigen, soweit mir das überhaupt möglich ist.
Gerade deshalb möchte ich jetzt nicht von ihnen sprechen und auch nicht vom Täter.
Ich möchte auf das hinweisen, was jetzt gerade wieder und weiterhin passiert, auf das Instrumentalisieren der Tat, auf populistischen Irrsinn, der - dem Wahlkampf geschuldet - mit ohrenbetäubender Lautstärke durch die Medien posaunt wird.
Unüberlegte Vorschläge - stark beeinflusst von rechtspopulistischen und in Teilen rechtsextremen Kräften in diesem Land und in vielen anderen Ländern und von den Parteien der Mitte reproduziert - die nicht nur zu einer unmenschlichen Politik führen werden, sondern zudem den Diskurs verschieben: weg von den Themen, die leider noch viel mehr Menschen- und eben auch Kinderleben kosten.
Ein paar tagesaktuelle Wortmeldungen aus der Politik:
„Es müsse sichergestellt werden, dass potenzielle Gewalttäter und psychologisch auffällige Personen wie der Täter aus Aschaffenburg identifiziert und abgeschoben werden.“
Christian Dürr (Fraktionschef der FDP)
Friedrich Merz (Kanzlerkandidat der CDU) propagiert in der heutigen Tagesschau Grenzkontrollen und ein generelles Einreiseverbot für alle Menschen, auch diejenigen, die um Asyl bitten: "Mir ist es völlig gleichgültig, wer diesen Weg politisch mitgeht. Ich sage nur, ich gehe keinen anderen."...
.. und so sagt die CDU zur Brandmauer leise "Pfiat di!" Und aus der rechten Ecke kommt Beifall und die ausgestreckte Hand.
Dazu kommen die Vorschläge von Carsten Linnemann (Generalsekretär der CDU), man müsse ein Register von allen Menschen, die in Psychotherapie waren oder sind, anlegen - klingt wie die Vorboten einer Neuauflage der "Aktion T4" und die Therapeuten sollen die Inhalte vertraulicher Gespräche mit ihren Klienten direkt an die Sicherheitsbehörden weiterleiten. Mal abgesehen davon, dass solch ein Vorgehen weder einer Demokratie noch der Menschenwürde gerecht wird, ist es kontraproduktiv: Menschen in seelischen Krisen, die zudem Aggressionsfantasien haben (und wer hat die nicht gelegentlich?), werden diese nun nicht mehr mit Therapeuten besprechen und somit mit einer größeren Wahrscheinlichkeit ausleben. Bravo!
Selbst wenn es nicht zu solch einem Gesetzt kommen sollte, so steckt die Aussage und die damit einhergehende Verunsicherung womöglich in den Köpfen der Betroffenen fest. Menschen, die unter psychischen Störungen leiden, werden zudem sehr viel öfter zu Opfern als zu Tätern. Sie benötigen unsere Hilfe, unseren Schutz und keine Stigmatisierung.
Die Gruppe der Menschen, die den Wert von Psychotherapien erkannt hat und diese nutzt, ist groß. All diese Menschen unter Generalverdacht zu stellen, scheint mir absurd.
Dass Herr Linnemann diese Äußerungen beim DLF - sonst bekannt für gehobene journalistische Qualität - tätigen darf, ohne dass die Interviewende kritisch nachfragt, kommt einem journalistischen Offenbarungseid gleich. Ich habe den Chefkorrespondenten und früheren Chefredakteur vom DLF auf den Fehler hingewiesen, dieser hat sich entsetzt gezeigt - immerhin.
Die Medien - mitunter selbst die wenigen wirklich seriösen Medien und Nachrichtensendungen, wie z.B. DLF und die Tagesschau - spielen das Spiel der Rechtspopulisten in letzter Zeit allzu oft mit und werden ihrer großen Verantwortung als vierte Gewalt, als Korrektiv eben nicht gerecht. Gerade jetzt, wo die Parteien der Mitte auf der rechts abfallenden schiefen Ebene erheblich ins Rutschen geraten, wäre es doch die Aufgabe der Medien, ebendiese Ebene zu tarieren, mindestens aber, vehement darauf hinzuweisen, dass die Mitte rutscht und die extremen Kräfte längst dem Abgrund nah sind, aber der Diskurs ist vergiftet und einige andere Medien verteilen diese sozialen Toxine längst bereitwillig in der Gesellschaft.
Wie kann es sonst sein, dass alle Parteien (außer einer) zurzeit die "faulen" und "verbrecherischen" Ausländer, Syrer, Afghanen und sogar Deutsche mit doppelter Staatsbürgerschaft deportieren wollen? Wie kann es sein, dass selbst enge Verwandte und Bekannte, die eigentlich stabile Demokraten sind und vorgeben Faschismus und Rassismus abzulehnen, mit in diesen Chor einstimmen?
Was soll das denn bringen? Nehmen wir die typischen Vorfälle: Mensch aus z.B. Afghanistan attackiert Menschen mit einem Messer oder belästigt oder vergewaltigt Frauen. Dieser Mensch gehört in den deutschen Strafvollzug und nicht in ein Land, in dem er womöglich für seine Taten gefeiert wird oder wo Frauenrechte in erheblich geringerem Maße gegeben sind als hier.
Wer z.B. Frauen vor Vergewaltigungen beschützen möchte, der sollte sich fragen, ob er nicht vielleicht nur etwas gegen das Vergewaltigen deutscher Frauen vor der eigenen Haustür hat und ob ihm das andernorts herzlich egal ist. Das Abschieben wird das Problem zumindest nur verlagern und verschlimmern.
Wer also bisher sagte: "Ich bin ja kein Rassist, aber ..." der sollte sich wenigstens so ehrlich machen und sagen: "Ich bin Nationalist und Rassist, denn ..."
Wer es hingegen ernst meint, der sagt: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren", auch die Frauen in z.B. Afghanistan. Und auch Asyl ist ein Menschenrecht.
Morde und Vergewaltigungen sind schrecklich, aber die Gruppe aller Menschen mit Migrationsgeschichte oder die Gruppe derer in Psychotherapie unter Generalverdacht zu stellen, ist falsch und nicht hilfreich.
Zum Vergleich: die Zahl der versuchten Femizide lag 2023 bei 938. Davon endeten 360 tödlich. Männer töten Frauen - wohlgemerkt überwiegend deutsche Männer - niemand käme auf die Idee, alle Männer abzuschieben oder in ein Gefährder-Register einzutragen.
Terroranschläge und Amoktaten sind schrecklich, aber im Vergleich unglaublich selten, es ist statistisch wahrscheinlicher, vom Blitz getroffen oder von der Polizei erschossen zu werden als Opfer einer Terrortat zu werden.
Aber auch die viel zu große Zahl von 360 Femizid-Opfern im Jahr verblasst gegen die 76.000 Todesopfer, die Luftverschmutzung in Deutschland fordert (darunter auch viele Kinder) und da ist noch nicht mal die Klimakrise eingerechnet.
Diese Zahl ist insbesondere in Deutschland so unfassbar groß, dass man sie nicht ignorieren dürfte, aber genau das passiert die ganze Zeit. Wer schon mal einen geliebten Menschen intubiert gesehen hat, ihn beim Sterben begleitet hat, der weiß, dass Lungen- und Atemwegserkrankungen ebenfalls zu einem schrecklichen Tod führen.
Und selbst die 76.000 Toten in Deutschland jedes Jahr sind eine verhältnismäßig kleine Zahl gegen die 9 - 10 stellige Zahl derer, die von der Klimakrise betroffen sind und in den nächsten Jahren umkommen oder in Todeszonen leben werden.
Ich möchte nicht relativieren, das ist kein Whataboutism. Es ist eine Einordnung für das Leben:
Es gibt sehr selten schreckliche Dinge, die man niemals verhindern können wird und zugleich gibt es zigtausend Menschen in unserer Mitte, die wir jedes Jahr bereitwillig sterben lassen. Warum hören wir nicht erst mal damit auf, warum stehen wir nicht alle wieder füreinander ein.
Alle! Denn auch reiche Kinder bekommen Asthma. Gesundheit lässt sich zwar zum Teil, aber eben auch nicht in Gänze kaufen.
Und zum anderen wird die Gruppe der Menschen, also der Männer, die keinen sozialen Anschluss, keine Möglichkeit zu arbeiten, kein Geld und keine Perspektive hat, öfter straffällig. Warum hören wir nicht auf, Menschen - ganz besonders Migranten - in diese Gruppe zu stecken. Warum befreien wir sie nicht daraus, auch indem wir über gute Integrationspolitik statt über schlechte Migrationspolitik diskutieren. Deutschland braucht millionenfache Zuwanderung, um dem Kollaps der Sozialsysteme zu entgehen und für eine bunte und vielfältige Gesellschaft. Dafür braucht es auch Regeln, aber in erster Linie Einrichtungen, Angebote und Handreichungen.
Wir müssen aufhören, uns den Diskurs von rechtsradikalen Demokratiefeinden diktieren zu lassen. Wir und die Medien müssen durchschauen, dass diejenigen Narrative, die irrationale Angst schüren, nicht verbreitet werden dürfen, sonst frisst diese Angst nicht nur unsere Seelen, sondern auch unseren Verstand, unsere Vernunft auf.
Wir müssen alles tun, um soziale und Klimagerechtigkeit mit allen Mitteln zu stärken, um Deutschland, Europa und die Welt lebenswert zu erhalten, insbesondere, weil es genau das ist, was uns vor einem neuen Faschismus und vor noch mehr Krieg bewahren wird.
Es sind die Luftverschmutzung, die Artenvielfalt und die Klimakrise und gleichzeitig die soziale Kälte, um die wir uns sofort kümmern müssen, mit wachem Geist und offenem Herzen. Damit können wir problemlos in kürzester Zeit tausendmal mehr Menschenleben retten als jemals durch Terror umgekommen sind!
Denn so sieht es in den Nachrichten aus:
Obwohl das die Realität ist, in der wir leben:
Tote durch Luftverschmutzung - verursacht durch fossile Brennstoffe
In Deutschland 2015: 76.052
Ich freue mich über und für jeden, der sich für das Leben und die Vernunft und gegen Rechtspopulismus und Faschismus entscheidet.
A.J. - 23.1.2025 (ohne KI)